Der Patient – Experte seiner Erkrankung

Aus: Arzneimittelpunkt Ausgabe 2, 2018

Die Entscheidung, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und mehr Wissen über ihre Erkrankung anzueignen, veränderte ihr Leben. „Danach war alles anders“, sagt Borgi Winkler-Rohlfing, die an der seltenen Erkrankung Lupus erythematodes – nachfolgend als Lupus abgekürzt – leidet. Heute diskutiert sie als Patientin mit Fachärzten auf Augenhöhe. Und das kommt ihrer Therapie zugute.

Winkler-Rohlfing ist nicht allein. In Deutschland sind etwa 35.000 Menschen an Lupus erkrankt. Diese Anzahl ist im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten allerdings überschaubar. So leiden deutschlandweit beispielsweise 300.000 Menschen an Diabetes Typ 1. Deshalb überrascht die Reaktion der Pastorin im Ruhestand nicht, als sie durch Zufall bei einer Messe auf die Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. aufmerksam wurde: „Ich konnte gar nicht fassen, dass es noch andere Menschen gab, die das Gleiche hatten. Ich habe alle verfügbaren Hefte des Vereins gekauft und jede Information verschlungen“, erinnert sie sich. Und dieser Punkt hat ihr Leben mit der Krankheit von Grund auf verändert.

Lupus ist eine chronische Erkrankung des Immunsystems, von der Frauen häufiger betroffen sind als Männer oder Kinder. Das Immunsystem soll den Körper eigentlich vor Krankheiten schützen, indem es Viren, Bakterien und Pilze abwehrt. Bei Lupus-Patienten ist es jedoch verändert. Es bekämpft quasi den eigenen Körper. Hierdurch können sämtliche Organe zerstört werden. Bis heute sind die Ursachen der Erkrankung unklar. Fest steht nur, dass Lupus tödlich ist, wenn die Krankheit nicht behandelt wird.

[glossar] Selbsthilfegruppe vermittelte Wissen über Erkrankung :::

Die Symptome sind meist unspezifisch. Patienten klagen über Fieber, Hautausschläge, Gelenkschmerzen oder haben Orientierungsprobleme. So war es auch bei Winkler-Rohlfing. Erst nach zwei Jahren, vielen Arztbesuchen und mehreren Fehldiagnosen stellt ein Mediziner fest, dass sie an Lupus leidet.

„Die Diagnose war zuerst eine Erleichterung, weil ich endlich wusste, was mit mir los war. Aber da ich nichts über die Erkrankung wusste und mein erster Arzt auch nichts Genaueres sagte, ging ich in die Bibliothek und las: Durchschnittliche Überlebenszeit fünf Jahre“, so Winkler-Rohlfing. Völlig verunsichert begann sie die Therapie.

Erst in der Selbsthilfegruppe lernte Winkler-Rohlfing, was für sie heute selbstverständlich ist: sich Wissen über ihre Krankheit anzueignen. „Endlich habe ich verstanden, was ich für eine Erkrankung habe. Ich lernte die Medikamente und ihre Wirkung kennen und beschloss als erstes, meinen Arzt zu wechseln und eine Regionalgruppe zu besuchen.“ Dort nimmt sie bis heute an vielen Workshops und Seminaren zu allen Fragen rund um Lupus teil. [/glossar]

[glossar] Arztgespräche: Vorbereitung ist das A und O :::

Als informierte Patientin fühlt sie sich heute auf Augenhöhe mit dem Arzt. „Auf jedes Arztgespräch bereite ich mich gründlich vor, damit alle meine Fragen besprochen werden“, sagt Winkler-Rohlfing. Wichtig sei dabei, dass sich Patienten schlau machten und sich vorab mit verständlichen Informationen auf wissenschaftlicher Grundlage auf den Arztbesuch einstellen könnten. Das Internet kann hier eine wichtige Informationsquelle sein, auch zu seltenen Erkrankungen wie Lupus. Aber in dieser Informationsflut können auch Fehler enthalten sein. „Die Selbsthilfe arbeitet mit Ärzten zusammen und kann dadurch helfen, wissenschaftliche Aussagen von ungesicherten Behauptungen zu unterscheiden“, weiß Winkler-Rohlfing.

Winkler-Rohlfings heutiger Arzt ist Fachmann für Lupus und diskutiert mit ihr gemeinsam die verschiedenen Therapiemöglichkeiten. „Ich weiß am Ende des Gespräches, welches Medikament ich wofür bekomme, und nehme es darum auch ein.“ Die gemeinsame Therapieentscheidung, das sogenannte Shared-Decision-Making, gehört für sie deshalb zu jedem Arztbesuch und fördert ihre Therapietreue. Winkler-Rohlfing weiß heute bestens über ihre Krankheit Bescheid. Manchmal sogar besser als andere Ärzte, bei denen sie in Behandlung ist. Mediziner, die keine Lupus-Experten sind – wie etwa Zahn- oder Augenärzte – muss Winkler-Rohlfing oftmals aufklären: „Diese Ärzte wissen in der Regel überhaupt nichts davon. Darum müssen wir als Patienten unsere Erkrankung erklären können und alle unsere Medikamente kennen.“ [/glossar]

Winkler-Rohlfing engagiert sich nun seit 25 Jahren in der Selbsthilfe. Zudem setzt sie sich als Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss für die Interessen der Lupus-Patienten ein. Sie hat im Laufe der Jahre und in vielen Gesprächen mit Betroffenen selbst erfahren, wie wichtig es ist, dass ein Patient seine Krankheit genau kennt. „Für jede Erkrankung sollte es eine wissenschaftlich geprüfte Patientenschulung unter Einbindung der Selbsthilfe geben, die von den Kassen finanziert wird. Denn gerade bei einer seltenen Erkrankung sollten die Betroffenen schnell ein Grundwissen erwerben, da dies oft weder in der Gesellschaft noch bei vielen Ärzten vorhanden ist“, wünscht sich Winkler-Rohlfing.

Text: Angelina Gromes

Auch interessant...

Patienten sind heutzutage informierter und selbstbestimmter. Sie möchten die Gesundheitsversorgung mitgestalten.

Informierte und aufgeklärte Patienten sind eine wesentliche Voraussetzung für eine sichere Arzneimitteltherapie. Dazu gehört auch ein gut verständlicher und lesbarer Beipackzettel.

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten gab es keine geeignete Arzneimitteltherapie gegen Migräne. Heute ist das anders.

Zeichenfläche 1