Für die Regionen unersetzbar
Die deutschen Arzneimittel-Hersteller finden sich in vielen Teilen des Landes. Vor Ort tragen sie zu Arbeit und Wohlstand bei. Ein Besuch in Bamberg.
Steigt man in Bamberg ins Taxi und will zur Dr.-Robert-Pfleger-Straße 12, muss der Fahrer nicht lange überlegen. Die Firmenhallen der Dr. Pfleger Arzneimittel GmbH prägen das Stadtbild – und zeugen von der Bedeutung der Firma für den Standort.
„Unser Unternehmen ist hier in Bamberg auf jeden Fall ein Leuchtturm“, sagt Dr. Günter Auerbach, einer der beiden Geschäftsführer. Seit fast 75 Jahren gibt es den Betrieb. Er wird seit dem Tod des Gründers im Jahr 1971 von einer Stiftung getragen. „Das Unternehmen gehört der Stiftung und kann nicht verkauft werden“, führt Auerbach aus. „Alles, was wir erwirtschaften, fließt entweder zurück in die Forschung und Entwicklung von Dr. Pfleger oder kommt unseren zahlreichen karitativen Aktivitäten zugute.“
[glossar] Arzneimittel-Hersteller schaffen Wohlstand :::
Zu diesen Aktivitäten zählt ein Schulhort mit etwa 80 Plätzen, den es bereits seit mehr als 40 Jahren gibt. Das Unternehmen hatte den Aufbau mitfinanziert und unterstützt den Hort beispielsweise mit neuen Möbeln. Es fördert auch ein Wohnhaus für junge Menschen, die traumatisiert sind oder aufgrund spezieller Situationen nicht mehr zu Hause leben wollen oder dürfen.
Arzneimittel-Hersteller sind in vielen Regionen Deutschlands ein wichtiger Wirtschafts- und Standortfaktor. Bundesweit beschäftigen sie fast 120.000 Menschen. Viele der größtenteils kleinen und mittelständischen Firmen haben ihre Standorte jenseits der großen Metropolregionen. Gerade familiengeführte Unternehmen gibt es oft seit Generationen. Sie fühlen sich in der Region verwurzelt und sorgen dort für Arbeit und Wohlstand – auch bei Dienstleistern, Handwerksbetrieben und Zulieferern. Die Bruttowertschöpfung der Branche beträgt in Deutschland mehr als 19 Milliarden Euro im Jahr, die indirekten Effekte liegen sogar bei 34 Milliarden Euro.
Knapp 400 Mitarbeiter beschäftigt Dr. Pfleger in Bamberg. „Wir zählen damit zu den Top-10-Arbeitgebern hier“, sagt Auerbach. Und Ralf Will, zweiter Geschäftsführer des Unternehmens, ergänzt: „Wir wollen ein guter und nachhaltiger Arbeitgeber sein. Wir bieten unseren Mitarbeitern umfangreiche Sozialleistungen, beispielsweise eine Altersvorsorge, Kfz- und Fahrrad-Leasing sowie Zuschüsse zu sportlichen Aktivitäten. Und wir sind einfach auch ein familiäres Unternehmen, wir sind eine Pfleger-Familie.“
Das Unternehmen vertreibt ein Sortiment aus über 60 Arzneimitteln und Medizinprodukten. Schwerpunkte sind die Urologie, Dermatologie und Gynäkologie sowie Arzneimittel zur Selbstmedikation bei Schmerzen und Heiserkeit. Dabei handelt es sich um Originalpräparate und Generika, die chemisch-pharmazeutisch hergestellt werden, oder um Arzneimittel pflanzlichen Ursprungs. [/glossar]
[glossar] Einstieg in den Biotech-Markt: Enormer Aufwand :::
„Als Mittelständler stehen wir aber auch vor großen Herausforderungen“, kommt Auerbach auf die Zukunft zu sprechen. „Es vollzieht sich gerade ein grundlegender Wandel in mehreren Bereichen.“ Als Beispiel nennt er die steigende Bedeutung von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln. „Wir prüfen gerade, wie wir als mittelständisches Unternehmen auf diesen Zug aufspringen können,“ sagt Auerbach.
Der Markt für Biotech wächst seit Jahren, zuletzt besonders stark. 2018 wurden in Deutschland 38 neue biotechnologisch hergestellte Medikamente zugelassen, so viele wie nie zuvor. Diese Arzneimittel machten damit 58 Prozent aller Neuzulassungen aus. Deutschland profitiert von der erfolgreichen Branche. Der jährliche Umsatz mit Biotech-Medikamenten beläuft sich mittlerweile auf mehr als 11 Milliarden Euro. Seit 2007 hat er sich damit fast vervierfacht. Die Sparte wird zunehmend zu einem Treiber von Fortschritt und Wertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft.
Der Aufwand für den Einstieg in den Markt biotechnologischer Arzneimittel ist groß, gerade für ein Unternehmen, das hier keine Erfahrung hat. Auerbach führt aus: „Wir rechnen mit 100 bis 300 Millionen Euro Entwicklungskosten pro Arzneimittel. Für die eigene Herstellung bräuchten wir komplett neue Technologien. Und natürlich müssten wir uns auch das Know-how neu aneignen.“
Für ein mittelständisches Unternehmen sind die Kosten allein nicht zu stemmen.
Dr. Pfleger ist daher dabei, ein europaweites Konsortium aus Partnerfirmen aufzubauen. „Gemeinsam wollen wir Medikamente entwickeln und vermarkten. Unser Unternehmen würde diese Aufgabe für den deutschen Markt übernehmen“, sagt Auerbach. [/glossar]
[glossar] Digitalisierung: Im Wandel bestehen :::
„Ein anderes Thema, das uns umtreibt, ist die Digitalisierung“, fügt Ralf Will an. Es geht um digitales Marketing, effizientere Rechnungsbearbeitung, aber auch um Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI). Dafür kooperiert man unter anderem mit ortsansässigen Start-ups. „Wir kommen just aus einer Telefonkonferenz mit einem sehr innovativen Unternehmen aus dem Bereich KI“, erzählt Will. „Wir stellen uns Fragen wie: Welche Art von Datenhaltung braucht ein Unternehmen, um überhaupt KI oder ‚Machine Learning‘ aufsetzen zu können?“ Es geht beispielsweise um Marktdaten, um Angebot und Nachfrage besser abzustimmen. Oder auch um Produktdaten. Wir sind hier gerade noch in der Orientierungsphase.“
Es sei ein langer Weg, sagt Will, aber er sieht enorme Möglichkeiten – und zugleich die Notwendigkeit, um langfristig am Markt zu bestehen. „Das heißt aber auch, dass wir viel investieren müssen. Das ist für uns nicht immer einfach.“ [/glossar]
[glossar] Sozialrechtliche Steuerungsinstrumente erschweren Investitionen :::
Es sind Regulierungen, die profitables Wirtschaften – und damit Investitionen – zunehmend erschweren. Auerbach führt aus: „Beispielsweise verbietet uns das Preismoratorium, die Preise für unsere erstattungsfähigen Arzneimittel ohne Festbetrag gegenüber dem Stand vom 1. August 2009 zu erhöhen.“ Demgegenüber stünden steigende Lohnkosten, Energiekosten, Rohstoffkosten. „Allein die Tarifgehälter sind in den letzten zehn Jahren um bis zu 30 Prozent gestiegen“, sagt er. Und Will ergänzt: „Bei Rohstoffen kann man mit Preissteigerungen um 2 bis 3 Prozent rechnen, bei schwer verfügbaren sind es auch mal 10 Prozent – pro Jahr wohlgemerkt.“ Die wachsende Kluft zwischen steigenden Preisen und stagnierenden Erlösen muss das Unternehmen kompensieren. „Das tut uns als Mittelständlern extrem weh.“
Ein weiteres Thema ist das Festbetragssystem. Festbeträge sind Höchstbeträge für die Erstattung von Arzneimittelpreisen durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Auerbach erklärt: „Wir entwickeln Präparate aufwendig weiter, etwa speziell für ältere Menschen, bekommen aber die gleichen Festbeträge wie für die Standardmittel.“ Das verhindert Vielfalt und Therapieoptionen. „Präparate etwa gegen eine überaktive Blase könnten wir problemlos als Spray entwickeln, für Patienten, die Tabletten nicht schlucken können“, sagt er. „Aber die Erstattung wäre die gleiche wie für die Tablette, so dass sich die hohen Entwicklungs- und Produktionskosten nicht einspielen würden. Also entwickeln wir das Mittel erst gar nicht.“
Und dann gebe es noch die Rabattverträge, fährt Auerbach fort. Gerade Mittelständler hätten oft nicht die Ressourcen, sich im immer härteren Wettbewerb durchzusetzen. „Bei einem unserer Produkte haben wir jetzt Konkurrenz von Firmen, die das Fertigarzneimittel komplett in Indien herstellen lassen. Damit können wir hier einfach nicht konkurrieren.“ Noch sei kein Medikament von Dr. Pfleger aufgrund der Rabattverträge vom Markt genommen worden. „Aber es zeichnet sich ab“, sagt Auerbach.
Wenn Therapieoptionen vom Markt genommen oder Innovationen gar nicht erst erforscht werden, haben die Patienten das Nachsehen. „Wir hätten gemeinsam mit einem Forschungsinstitut ein völlig neues Schmerzmittel entwickeln können, was es so noch nicht gibt“, erzählt Auerbach. „Aber wir haben die Erstattung durchgerechnet und es dann bleiben lassen. Das ist wirklich bitter.“ [/glossar]
[glossar] Standortpolitik ist Gesundheitspolitik :::
Der Verlust trifft aber auch den Standort Deutschland. Auerbach sagt: „Immer weniger Arzneimittel werden in Deutschland oder Europa produziert. Ein großer Teil wurde bereits in das außereuropäische Ausland verlagert.“ Für die derzeit noch in Europa produzierten Medikamente sieht Auerbach jedoch die Chance, Know-how und Wertschöpfung zu behalten. „Wir brauchen daher eine klare politische Unterstützung, um unseren Vorsprung am Produktions- und Qualitätsstandort Europa zu halten und auszubauen. Dies könnte auch dazu beitragen, die aktuelle Lieferversorgung deutlich zu verbessern.“
Neben den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen nennt Auerbach auch das Thema Forschungsförderung. „Ein erster Schritt wurde mit dem neuen Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung schon gemacht. Aber es braucht noch mehr Forschungsprogramme hier in Deutschland. Bislang tragen die Hersteller das unternehmerische Risiko bei der Entwicklung komplett selbst – gäbe es mehr Fördermöglichkeiten, könnten wir deutlich mehr Innovationen für das deutsche Gesundheitswesen realisieren.“
Dabei geht die Doktor Robert Pfleger-Stiftung mit gutem Beispiel voran. „Die Stiftung betreibt aktive Forschungsförderung. Unser Robert Pfleger-Forschungspreis ist mit 50.000 Euro relativ hoch dotiert und wird alle zwei Jahre an Wissenschaftler vergeben, die wegweisende medizinische Forschung betreiben. Die nächste Preisverleihung ist für Juli 2020 in Bamberg vorgesehen.“ [/glossar]
Unternehmerischer Erfolg ist nicht zuletzt Grundlage dafür, dass sich Hersteller weiterhin für ihre Heimatregionen einsetzen können. Ab Ende 2020 wird sich Dr. Pfleger noch einmal vergrößern und ein neues Gebäude in Betrieb nehmen. „Wir bekennen uns zum Standort Bamberg. Wir forschen, entwickeln und produzieren komplett hier. Wir leben Nachhaltigkeit. Und das soll auch so bleiben.“ Darüber sind sich Auerbach und Will einig.
Text: KK